Geraubtes Essen
Wer bezahlt das Essen von Herrn und Frau Österreich? Und zwar mit dem Verlust von Land, Heimat und Leben? Soja aus Brasilien im Burger, Palmöl aus Afrika im veganen Aufstrich oder im Frittierfett, danach was Süßes mit Zucker aus Kambodscha?
Eine Fläche von der Größe Westeuropas wurde der lokalen Bevölkerung entzogen.
Millionen Menschen verlieren täglich ihre Lebensgrundlage durch systematische Missachtung von Landrechten oder Vertreibungen. Der Weltagrarbericht fasst die Fakten über den Landraub zusammen, die unter dem Begriff „Landgrabbing“ weltweit in Erscheinung treten.
Die globale Dokumentationsplattform Land Matrix verzeichnete seit 2017 fast 440 neue Fälle von Landraub. Multinationale Konzerne und Regierungen spielen eine wichtige Rolle bei den Geschäften um Agrarland, wenngleich das Ausmaß ihrer Beteiligung schwer zu beziffern ist, wie die Untersuchung von FIAN im Auftrag des europäischen Parlaments zeigt. Seit dem Jahr 2000 haben sich Investoren und Investorinnen laut Land Matrix ca. 55,5 Millionen Hektar Land für landwirtschaftliche Zwecke angeeignet – eine Fläche so groß wie Westeuropa.
Die Leidtragenden sind bäuerliche Familien, die für ihr bewirtschaftetes Land keine Besitztitel, wie etwa einen Grundbucheintrag, nachweisen können. Sie bewirtschaften das Land seit Generationen und können mit diesem Gewohnheitsrecht nichts gegen globale Investitionsfirmen aus dem Ausland unternehmen.
Soja aus Brasilien, Mato Grosso do Sul.
In Mato Grosso do Sul, was soviel bedeutet wie „großer Wald des Südens“, ist heute kaum mehr Wald zu finden. Endlose Monokulturen für den Soja-Anbau durchziehen kilometerweit den Bundesstaat an der Grenze zu Paraguay. Existenziell ist der Verlust von Lebensraum für die Guarani-Kaiowá, der indigenen Bevölkerung dieses Gebietes, wie Sabrina Tschiche und Katie Mähler in ihrer Reportage über Menschenrechtsverstöße in der traditionell lebenden Gemeinschaft berichten. Gewaltsame Vertreibungen, Verfolgungen, Giftanschläge und Morde an der indigenen Bevölkerung sind keine Seltenheit.
Österreich importiert jährlich mehr als eine halbe Million Tonnen Soja. Der größte Teil landet im Futter für Rind, Schwein und Geflügel, um als Gulasch, Braten oder Hühnchen-brust den österreichischen Mittagstisch zu zieren.
Wenn Herr und Frau Österreich nur 1/5 weniger Fleisch verzehren würden, könnte das erforderliche Soja für die Tiermast ausschließlich in Österreich angebaut werden, besagt eine Studie von Martin Schlatzer und Thomas Lindenthal am Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Wien (FiBL). Darin zeigen die beiden Forscher auf, dass es möglich ist, bei einer Reduktion des Fleischkonsums um 1/5, gentechnisch veränderte Sojabohnen, vor allem aus Brasilien, Argentinien und den USA durch biologisches Soja aus Österreich zu ersetzen.
Palmöl aus Sierra Leone, Putejun.
In Sierra Leone sind mehr als 32.000 Menschen von Vertreibungen durch Landraub betroffen. Die belgische Sektion der Organisation FIAN beschreibt die bedrohliche Situation aus menschenrechtlicher Perspektive und veröffentlichte 2019 den Bericht Landgrabbing for Palm Oil in Sierra Leone. Daraus geht hervor, dass die luxemburgische Firma SOCFIN in Malen Chiefdom, im Bezirk Putjehun auf einer Fläche von 180km2 eine Palmölplantage bewirtschaftet. 2018 eskalierte der Konflikt mit der ansässigen Bevölkerung, in dem 2 Menschen erschossen und zwölf Menschen inhaftiert wurden. Menschen, die Landrechte verteidigen, müssen permanent mit Verfolgung und Repressalien rechnen, im Kampf um Land für Palmölplantagen.
Palmöl kommt in Österreich in Form von Fertigprodukten, Frittierfetten und Eiscremes auf den Tisch. Es erfreut sich besonderer Beliebtheit in veganen und in vegetarischen Produkten. Ölpalmen, aus deren Fruchtfleisch das ergiebige Öl gewonnen wird, sorgen für eine cremige Konsistenz der Lebensmittel. Dabei ist das Palmöl äußerst günstig herzustellen und lange haltbar. Hauptanbaugebiete sind die subtropischen Gegenden in Asien und Afrika.
Der kommunale Widerstand in Putjehun, der sich von Anfang an gegen die Praktiken von SOCFIN richtete, erhält mittlerweile Rückhalt durch nationale und internationale Organisationen, die auf die Ungerechtigkeiten aufmerksam machen. Sie fordern von SOCFIN, gerechte Entschädigungszahlungen zu tätigen oder das Land zurückzugeben.
Zucker aus Kambodscha, Oddar Meanchey.
„Sie haben alles verbrannt … auch den Reis. Sie erlaubten uns nicht, zuerst zu ernten. Sie sagten, sie wollten Zuckerrohr anbauen. Sie zerstörten unsere Häuser, damit sie Zuckerrohr anbauen können“, klagt eine Witwe aus der Provinz Oddar Meanchey in der Untersuchung Bittersüße Ernte. Viele kambodschanische Familien bewirtschafteten ihr Land, bevor es über Konzessionen an asiatische Firmen vergeben wurde.
Besonders unvorstellbar erscheint, dass diese Vertreibungen mit Hilfe der EU-Initiative EBA /Everything But Arms möglich gemacht wurden. Kambodscha, als eines der ärmsten Länder der Welt, erhielt 2001 zollfreien Zugang zum europäischen Markt. Die Initiative „Alles außer Waffen“ löste in Kambodscha einen Wettlauf nach Land aus und führte dazu, dass innerhalb kürzester Zeit 100.000 Hektar Land zu Zuckerrohrplantagen umgewandelt wurden. Finanzstarke Unternehmen wie Agrarkonzerne, Investmentgesellschaften, Hedgefonds, Banken und Pensionskassen erhofften sich Rendite durch das lukrative Agrobusiness, wie die von FIAN Österreich veröffentlichte Studie Landgrabbing und Menschenrechte aufzeigt.
Zivilgesellschaftliche Initiativen, Studien und Untersuchungen rücken die globalen Zusammenhänge zunehmend ins öffentliche Bewusstsein und zeigen Wirkung, was im Februar 2020 dazu führte, dass die EU Kambodscha die Handelsbegünstigungen entzog.
Wie kann globales Umdenken gelingen?
Nach und nach etabliert sich die Einsicht, dass nur durch die Zusammenarbeit mit den indigenen Völkern und mit den Menschen, die durch kleinbäuerliche Landwirtschaft ihre Familien ernähren, eine nachhaltige Entwicklung erreicht werden kann.
In Deutschland wurde im Februar 2021 ein Lieferkettengesetz beschlossen. Es dient dazu, Konzerne, die menschenrechtliche Verfehlungen begehen, in die Verantwortung zu nehmen und haftbar zu machen. Zudem muss die Transparenz über den Besitz und Verkauf von Boden, sowie ein einsehbares Monitoring über getätigte Landgeschäfte, gewährleistet sein, damit der Handel mit Ackerland nicht gegen die Interessen der dort lebenden Bevölkerung getätigt wird. Hilfreiche Orientierung für eine globale Veränderung geben nach Marion Aberle von der Welthungerhilfe die 2012 erarbeiteten Freiwilligen Richtlinien des Welternährungskomitees. „Diese in nationale Gesetze zu übersetzen“, ist genauso notwendig wie die „menschenrechtliche Sorgfalt der Unternehmen“.
Denn Land darf kein Spekulationsobjekt werden, da das Überleben von Milliarden Menschen vom Zugang zu Land abhängig ist.
Quellen:
Initiative Landmatrix https://landmatrix.org/
FIAN (2017) Landgrabbing und Menschenrechte. Die Rolle der EU-Akteuren im Ausland, S.19
M. Aberle (2021) Welthungerhilfe, Immer mehr Land in immer weniger Händen
Brasilien
S. Tschiche und K. Mähler (2018) Das Lächeln und der Kampf der Guarani-Kaiowá
Schlatzer, M. Lindenthal, T. (2019): Österreichische und europäische Alternativen zu Palmöl und Soja aus Tropenregionen – Möglichkeiten und Auswirkungen. Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) Österreich und Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit (gW/N), S.35
Quellen:
Sierra Leone
FIAN (2020), Sierra Leone: Landnahme durch Palmöl-Firma SOCFIN beenden
Kambodscha
Equitable Cambodia & Inclusive Development International (2013), Bittersweet Harvest, A Human Rights Impact Assessment of the European Union’s Everything But Arms Initiative in Cambodia, S. 80, Bittersüße Ernte
FIAN (2020) Landraub in Kambodscha S. 4
FIAN (2020) Handelspräferenzentzug für Kambodscha